Jersey-Stoffe: Material und Verarbeitung

  • Hallo allerseits,


    da es immer mal wieder Fragen zu Jersey gibt, erstelle ich hier mal eine Übersicht.


    Zum einen muss man unterscheiden zwischen Material und Jerseyart. Zuerst einmal zu den Wirkarten, unabhängig vom Material:

    • Singlejersey ist wie Handgestricktes, das man glatt rechts gestrickt hat: Die Vorderseite hat rechte Maschen, die Rückseite linke Maschen. Singlejersey ist meist weich und dünn, nicht sehr robust, dafür zart.
    • Interlockjersey ist eine Art Doppelgewirk: Hier sind zwei Lagen so miteinander verwirkt, dass die jeweiligen Vorderseiten nach außen zeigen und die jeweiligen Rückseiten miteinander verbunden sind. Interlock, wie er gern in Kurzform genannt wird, ist weich und ohne Elastananteil oft sehr dehnbar. Durch die doppelte Lage ist er eher Blickdicht und wärmer als Singlejersey. Die meisten Interlockjerseys sind aus Baumwolle.
    • Bei Rippenjersey wechseln sich rechte und linke Maschen so ab, dass ein Rippenmuster entsteht, wodurch Rippenjersey auch ohne Elastananteil leichte Rücksprungeigenschaften hat.
    • Romanitjersey ist fester als andere Jerseys und nicht sehr stark dehnbar. Die meisten Romanitjerseys, die man im Handel bekommt, haben einen relativ hohen Kunstfaseranteil.


    Jersey kann aus unterschiedlichen Materialien hergestellt werden:

    • Der Klassiker für Kinderkleidung und sportlichere Alltagkleidung ist Baumwolljersey. Er lässt sich prima waschen und bügeln und ist unkompliziert in der Verarbeitung. Es gibt ihn uni, gestreift (entweder mit aufgedruckten Streifen oder mit Streifen, die direkt gewirkt werden) und gemustert.
    • Viscosejersey ist meist glatt und fällt relativ schwer. Oft glänzt er leicht und wirkt edler als Baumwolljersey, und es gibt ihn unifarben oder in stylischen Druck-Designs, nur sehr selten gestreift. Viscosejersey läuft gern mal etwas stärker ein.
    • Seidenjersey ist etwas sehr edles, trägt sich schön und sollte, da es sich um eine tierische Faser handelt, unbedingt mit Wollwaschmittel gewaschen werden, da er sonst schnell spröde wird. Richtig gewaschen hat man aber meist lange etwas davon. Leider wird im Handel oft unter Seidenjersey verkauft, was eigentlich ein Polyesterjersey ist, vielleicht einfach weil er wie Seide glänzt.
    • Polyesterjersey ist allerdings kein Vergleich zu Seidenjersey, da man sehr viel schneller darunter schwitzt. Es gibt Polyesterjerseys, die sehr weich und dehnbar sind, andere hingegen, die sehr fest und fast für Schnitte für Webstoffe zu verwenden sind.
    • Dann gibt es noch Wolljersey. Heiss gewaschen und verfilzt, hat man wunderbare gekochte Wolle, die sich wie Walk verarbeiten lässt. Und wenn man vor dem Verfilzen Nähte und Dekore anbringt, kann man großartige Effekte erzielen, aber das ist Spielkram für ein andermal.
      Wolljersey wärmt schön, trägt sich leicht und klimatisiert gut. Man sollte ihn nur, wenn man ihn nicht verfilzen will, sehr sorgfältig waschen oder in die Reinigung bringen. Er ist schwer zu finden und dann meist unifarben.


    Oft ist einem Jersey Elastan beigemischt. Jersey ohne Elastan ist dehnbar (d.h. lässt sich in die Länge oder Breite ziehen), aber erst die Beimischung von Elastan macht einen elastischen Stoff (d.h. einen mit Rücksprung in die ursprüngliche Form) aus ihm. Daher sollte man sorgfältig zwischen dehnbarem und elastischem Stoff unterscheiden.


    Oft ist in Schnittmustern eine Dehnbarkeit in Prozent angegeben. Diese hat nur indirekt mit dem Anteil an Elasten zu tun, sondern bezeichnet die Länge, um die sich der Stoff dehnen kann. Wenn z.B. eine Dehnbarkeit von 10% gefordert wird, dann bedeutet das, dass eine Strecke von 10 cm auf dem Stoff auf einen Länge von 11 cm (= 10 cm +10%) gedehnt werden kann.

  • Jersey ist aufgrund seiner Struktur nicht so formstabil wie ein Webstoff. So sehr wir diese Eigenschaft aufgrund der Bequemheit der entstehenden Kleidung schätzen, so sehr kann sie uns manchmal in die Verzweiflung treiben, wenn wir Jersey verarbeiten wollen. Aber mit ein paar Tricks kann man (fast) immer als Sieger aus solche einem Kampf hervorgehen.


    Da Jersey sich gerne verzieht, ist hier das Vorwaschen noch wichtiger als bei Webstoffen. Ich persönlich verarbeite keine Jerseys mehr, die sich beim Vorwaschen übermäßig verzogen haben, da ich daran auch später keine Freude habe.


    Jersey wird meist in der Runde gewirkt und dann senkrecht aufgeschnitten. Wenn man Glück hat, ist das schön parallel zum Maschenlauf geschehen (bei Gewirktem spricht man nicht von Fadenlauf, sondern von Maschenlauf), wenn man Pech hat aber auch durchaus mal schief dazu. Daher kann man nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass der Maschenlauf parallel zur Seitenkante verläuft.


    Bei der Schnittwahl sollte ein Anfänger unbedingt darauf achten, dass der Schnitt auch für Jersey gedacht ist. Die unterschiedliche Dehnbarkeit verschiedener Stoffe erfordert schon die ein oder andere Anpassung; da sind diejenigen, die man für Schnitte aus Webstoff machen müsste, noch eine Hausnummer mehr. Wer sich auskennt, kann natürlich auf Basis einen Schnittes für Webstoffe auch schöne Stücke zaubern.


    Zum Zuschneiden sollte man entweder mir Schneidematte und Rollschneider arbeiten oder aber den Jersey schön flach legen, das Schnittmuster in sehr engen Abständen aufstecken und dann sehr flach über der Auflagefläche schneiden, damit der Jersey sich nicht beim Hochheben verziehen kann. Das Markieren mit Kreide kann bei sehr weichen Jerseys auch schwierig werden, aber Reihgarn und Nadel funktionieren fast immer.


    Bei der Stichauswahl ist darauf zu achten, dass die Naht elastisch sein muss, damit sie mit dem Stoff nachgeben kann. Daher ist ein Gradstich nicht geeignet.

    • Für Nähte zum Zusammenfügen hat sich ein kurzer, schmaler Zigzag bewährt. Manche Maschinen bieten einen speziellen Stich an, der aus jeweils einem längeren Stich vorwärts und einem kürzeren Stich zurück besteht. Dieser gibt eine schöne Naht, ist aber eine Strafe, wenn man ihn mal auftrennen muss.
    • Versäubern ist meist nicht zwingend notwendig. Wenn man vermeiden möchte, dass sich die Nahtzugaben einrollen, dann kann man die Nahtzugaben mit einem breiten Zigzagstich zusammen versäubern, dann liegen sie schön glatt.
    • Wenn die Maschine einen Overlocknaht hat, so kann man die offene Overlocknaht für Nähte und Säume verwenden, die geschlossene Overlocknaht für Säume.
    • Eine Overlock-Maschine (und für Säume eine Coverlock-Maschine) sind eine Möglichkeit, aber es funktioniert auch alles ohne diese Spezialmaschinen.
    • Diverse Ziernähte eignen sich gut für das Absteppen von Säumen, solange sie elastisch sind. Ich verwende gern den Wabenstich, der Grätenstich ist ebenfalls geeignet.
    • Für Säume ist eine Zwillingsnadel eine schöne Alternative, die optisch wie eine doppelt gesteppte Naht aussieht. Die Handhabung ist mal einen eigenen Thread wert.


    Im nächsten Post widme ich mich noch einmal der Eigenheit von Jerseystoffen, sich zu verziehen.

    Einmal editiert, zuletzt von Wirbelwind ()

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  • Beim Nähen verzieht sich Jersey gerne, und gerade bei Elastikjersey lässt die Nadel auch gern mal Stiche aus. Wichtig ist auf jeden Fall, eine Nadel mit einer runden Spitze zu verwenden, d.h. eine Jerseynadel oder eine Stretchnadel.


    Folgende Methoden haben sich bewährt, wenn sich der Stoff verzieht. Da muss man dann durch Ausprobieren die richtige für das aktuelle Projekt und den Stoff herausfinden:

    • Untergelegtes Seidenpapier sorgt für einen gleichmäßigen Transport, ist nur sehr mühsam beim Herauspulen.
    • Wasserlösliches Stickvlies (Avalon, Soluvies, Soluweb) erfüllt den gleichen Zweck, lässt sich aber nachher ausspülen. Dazu erst alles überstehende abschneiden, dann mit kalten Wasser ausspülen.
    • Wenn man den Jersey stärkt, wird er fester und steifer. Sprühstärke ist die Light-Variante, für schwere Fälle sollte man Reisstärke in Wasser auflösen und den Stoff darin baden. Unbedingt beim Trocknen darauf achten, dass er nicht verzogen aufgehängt wird, da er sonst in der verzogenen Form verarbeitet wird.
    • Wenn man eine etwas breiteren Zigzag zum Nähen wählt, kann man einen Faden (Knopflochgarn oder ähnliches) unter dem Stich mitlaufen lassen und nach dem Nähen über diesen Hilfsfaden den Stoff wieder zusammenschnieben und in Form bügeln.


    Schulternähte sollte man in Jersey immer verstärken, entweder durch ein Formband oder durch einen schmalen Längsstreifen des Jersey (da dieser meist in Längsrichtung weniger dehnbar ist), damit man nicht nach zwei Stunden Tragen mit Hängeschultern dasteht.


    Eine gute Overlock-Maschine hat einen sogenannten Differentialtransport. Dieser sorgt -sauber eingestellt- dafür, dass ich der Stoff nicht verzieht. Dazu am besten mal ins Handbuch schauen.


    Moderne Maschinen haben übrigens oft spezielle Knopflochstiche für Jersey. Diese geben tatsächlich meist schöne Knopflöcher, aber meist funktioniert es auch mit den althergebrachten.


    Viel Spaß beim Jersey-Nähen

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  • Wow - du hast dir wirklich viel Arbeit gemacht! Sehr schön strukturiert erklärt! Habe die ein oder andere Kleineigkeit dazu gelernt, vielen Dank!
    Liebe Grüße,
    Ina

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  • Vielen dank für deine mühe. :)

    Liebe Grüße,
    Su
    (früher als Suulchen unterwegs)



    “I don't care if you're black, white, straight, bisexual, gay, lesbian, short, tall, fat, skinny, rich or poor. If you're nice to me, I'll be nice to you. Simple as that.” ― Eminem

  • Wow Wirbelwind, das nenne ich mal eine super Erklärung!
    Ich habe mir das sofort einmal ausgedruckt und in mein Nähzimmer so deponiert, dass ich es immer zur Hand habe denn, Rechner und Nähzimmer liegen bei mir doch etwas auseinander und für mich "Anfänger" eine sehr hilfreiche Erklärung.


    Vielen Dank für Deine Mühe
    Anne

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  • zu den maschinegenähten Jerseyknopflöchern noch eine Ergänzung: Bitte IMMER an der Knopflochstelle verstärken. Das kann untergebügelte Einlage sein, mitlaufende Gimpe oder beides gemeinsam. Wenn keine komplette Belegverstärkung untergebügelt ist, dann zumindest punktuell ausreichend/ großzügig verstärken. Wen das später stört, der löst mit feuchtem Dampf (Bügeleisen) den Einlagekleber wieder an und zupft/ schneidet die Einlage rundherum um die Raupe weg. Was bleibt ist die Verstärkung unter der Raupe.
    Es spielt auch eine Rolle, in welche Richtung das Knopfloch genäht ist: zur meist dehnbaren oder weniger dehnbaren Maschenrichtung.
    UND: es schadet grundsätzlich nie, wenn zwischen Füßchensohle, Jersey und Transport ein Stückchen transparenter auswaschbarer Stickfolie liegt, der Jersey sozusagen in ein Sandwich gepackt ist. Den Folienüberstand vorsichtig abreißen, Reste mit einem feuchten Wattestäbchen oder Tuch abtupfen.

  • Danke Wirbelwind, eine sensationelle Übersicht, und dieser Satz freut mich am meisten, weil viele diese beiden Begriffe nicht unterscheiden::applaus:


    Daher sollte man sorgfältig zwischen dehnbarem und elastischem Stoff unterscheiden.

    Liebe Grüße
    Anja


    Mit dem Nähen ist es ein bisschen wie mit dem Sex, aus Spaß an der Freude ist es eine tolle Sache, aber für Geld möchte ich es nicht machen.:D

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  • Ich hätte noch eine Frage zur Dehnbarkeit in Prozent eines Stoffes. Wie fest muss/darf ich ziehen um das zu testen? So fest bis ich merke jetzt gibt der Stoff nicht mehr nach, ich also Angst habe bei weiterem Dehnen den Stoff zu beschädigen?
    Also nur so als Beispiel, ich habe mir gerade bei einem Baumwolljersey ein Strecke von 10 cm ungedehnt abgemessen. Ab einer Dehnung auf 13 cm merke ich deutlichen Widerstand, kann aber noch bis ca. 16 cm weiter dehnen. Ab dann habe ich Angst den Stoff zu beschädigen. Hätte dieser Stoff dann eine Dehnbarkeit von 30 % oder von 60 %??


    lg tashar

    Liebe Grüße tashar

  • Tashat, nimm die Dehnung als Maß, die Du an einem fertigen Kleidungsstück für sinnvoll erachtest. Wenn Du bei mehr als 30% Dehnung davon ausgehst, dass der Stoff sich in der Bewegung nicht weiter dehnen soll, dann ist das Dein Maß. Wenn es aber in Ordnung ist, wenn der Stoff auch um 50% gedehnt wird, sobald Du Dich bewegst, dann nimm die höhere Angabe.


    Wobei ich zugeben muss, dass ich so hohe Dehnbarkeit nur bei Schwimm- und Gymnastikstoffen kenne.

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  • Wenn Du den Stoff um 60% dehnst UND er danach wieder seine Ursprungslänge hat ist er wirklich so dehnbar. Wenn er nicht wieder zurückspringt hast Du ihne beschädigt.


    Ich wüsste aber auch nicht wann man außer bei knallenger Sportkleidung 60% Dehung braucht.


    birka:


    Danke für den tollen Beitrag :)

    _______________________________________________
    Lichtmess vorbei, dadurch sieht man vieles im richtigen Licht!

  • Danke für eure Antworten. Aber irgendwie ist das immer noch ein schwieriges Thema für mich. Bei dem Stoff von dem ich gesprochen habe handelt es sich nämlich um einen ganz einfachen, aber festeren Baumwolljersey ganz ohne Elasthan. Ich war selber sehr überrascht wie weit ich ihn dehnen konnte ohne dass er danach ausgeleiert war. Ich muss das mit der Dehnbarkeit mal an ein paar Stoffen testen, vielleicht habe ich mir ein seltsames Exemplar als Übungsobjekt ausgekuckt.


    lg tashar

    Liebe Grüße tashar

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  • Das mit dem Stärkebad ist eine geniale Idee, die ich auf jeden Fall ausprobieren werde. Vielen Dank für diese großartige Zusammenfassung!

    Irre Grüße,
    Verena, ehemals 'Schnittlos-glücklich'
    Man spricht mich übrigens 'Fai-winn' aus. :D

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  • Auch von mir noch ein dickes Danke! Perfektes Timing für mein anstehendes Calida-Klon-Projekt :).


    Da ich in Sachen Overlock noch wie'n Schwein ins Uhrwerk gucke: Was ist denn eine offene und was eine geschlossene Overlocknaht?


    Übrigens habe ich heute versucht, bei Karstadt Jersey-Stecknadeln zu kaufen... die haben glattweg behauptet: gibt's nicht. :doh:

    LG
    Sylvia


    Ich bin nur verantwortlich für das, was ich sage, nicht für das, was du verstehst.

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  • Danke, das ist eine tolle Übersicht! - Ich kaufe viele Stoffe auf dem Markt und da kann ich immer nur raten, aber ich passe demnächst mal auf ob ich das nun unterscheiden kann. Interlock und Romanit hatte ich auch schon oft gelesen aber nie so recht gewusst was genau das sein soll.

    Liebe Grüße
    Manu

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