Ein paar Fragen an die Mittelalterexpertinnen (für ein "Kostüm")

  • Hallo zusammen,


    ich würde gern etwas von eurem Erfahrungsschatz "absaugen" :)


    Hier die Eckdaten für mein Projekt: Ich brauche recht kurzfristig (in den nächsten 2,5 Wochen) ein Outfit für ein Mittelaltermahl, passende Gewandung ist dort nicht vorausgesetzt, ein guter Teil der Gäste erscheint jedoch wohl passend gekleidet bzw. kostümiert;) Ich will also auch:D


    Es ist weder eine Epoche der langen MA Zeit vorgegeben, noch muss ich mich auf Magd oder Hofdame beschränken, alles geht, es ist ja nur ein Kostüm.


    Mangelnder Zeit geschuldet muss es jetzt also fix und unkompliziert gehen, das große A ist irrelevant, für mich dürfte es aber zumindest ein klitzekleines bisschen "klein a" sein, G wie glaubwürdig find ich eine nette Wortwahl. Ich hab auch früher schon immer mal in die entsprechenden Threads reingeklickt, kenne zwar nicht die passenden Fachbegriffe, ahne aber folgendes, korrigiert mich bitte, wenn ich da etwas falsch verstanden habe:


    - Stoffe BW oder Leinen oder Wolle
    - Farben Unterkleidung gerne hell(beige), Oberbekleidung gerne auch kräftigere Farben. Schwarz geht wohl leider nicht.
    - Schnitte auf Basis von Rechtecken und Dreiecken (Ich hab den WIP hier im Forum schon gesehen und gelesen)
    - auf Figur bringen durch irgendeine Schnürung (Die Diskussion zur Kreuzschnürung vs. Spiralschnürung hab ich auch gelesen, ob ich das berücksichtige, mal sehen)


    Jetzt aber meine konkreteren Fragen:
    - Darf es auch ein hellgraues Unterkleid sein oder geht grau gar nicht? Ich seh immer nur weiß/beige + rot/blau/grün.
    - Müssen die Stoffe uni sein oder gab es auch gemusterte Stoffe?
    - Macht es Sinn z.B. den Burdaschnitt vom Höllenfensterkleid zu nehmen oder ist das gänzlich un-A? (Ich glaube, ich hätte keinerlei Problem mit einer ordentlich geformten Armkugel, für mich müssen es keine Keile sein)
    - Ähnliche Frage zu den Schnitten von Natron&Soda. Das Kleid mit der Schnürung vorne sieht ja ganz nett aus, erfüllt zumindest meine Klischees vom Mittelalter, aber passt das wirklich zumindest im Ansatz?
    - Ach ja, was ist denn mit Schmuck? Über so ein hochgeschlossenes Kleid a la Burda würde ich schon gerne ein Gebamsel tragen.


    Kurz gefasst: Was sind die absoluten No-Go´s, die bei jedem echten MA-Fan die Nackenhaare in Bewegung bringen. Ich muss ja nicht gleich als Ansammlung von Fettnäpfchen da auftauchen.


    Über ein paar Tipps wäre ich euch dankbar.


    LG Anja

    Liebe Grüße


    Anja

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  • sind ein bisschen viele Fragen. Ich sortiere mal.


    Bei Mittelalter spricht man übrigens nie von Kostüm. Eher Gewandung oder Tracht.


    Als Mittelalterkostüm geht auch schwarz. Im späteren Mittelalter gab es schon schwarz. Auch wenn es nicht so enfach zu färben war und nicht unserem Schwarz ganz heranreicht.


    Der Burdaschnitt mit dem Höllenfensterkleid ist fast A und es gab schon Armkugeln, auch wenn die anders geformt war. Ich meine das fängt bei den Herrschaften in meiner Zeitrechnung schon fast an.


    Untergewand aus hellem gebleichten oder ungebleichtem Leinen (damals), deshalb heute irgendwas helles, das so aussieht. hellgrau wäre ja ähnlich.
    Nimm oben drüber was dir gefällt und steht. Und wenn es schwarz wäre.


    Einfarbig oder nicht: dies wären mal keine Uni-Stoffe: http://www.virtue.to/articles/modern_fabric.html (Brokat/Damast)


    hier noch Anregungen und du siehst die damalige Armkugel: http://matildalazouche.livejournal.com/


    Gebamsel? Ketten? warum nicht? Lang genug geht auch über geschlossenem. Großer Anhänger/Talisman


    Das jetzt mal als Stichworte

    "lass die Sonne rein ... "

    ... und Grüße

    Doro :laola:

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  • Hallo Anja, wenn es nicht richtig A sein muss, ist Burda o.k. weil relativ leicht und schnell nachzunähen. Zu den Stoffen: Baumwolle war damals noch nicht wirklich im Umlauf und wenn ja - mehr oder weniger unbezahlbar. Ich würde also lieber Leinen nehmen. Ich bestelle meist hier: (Shoplink entfernt. Bitte im Markt fragen und antworten) Wenn Du es edler willst, ist Samt o.k. allerdings auch eher Oberschicht, weil das damals i.d.R. Seidensamt war.


    Die Farbe ecru ist auch realistisch für die Zeit. Darüber vlt. ein dunkles Blau, das war damals relativ häufig, weil mit Waid gefärbt. Das würde ich aber genau deshalb nicht für ein Oberschichtkleid verwenden. Da wäre sicher ein Rotton oder Grün besser. Echtes Schwarz war eine sehr sehr teure Farbe. So teuer, dass sich noch im 16. Jh. einige Damen und Herren in schwarzen Gewändern malen ließen, die sie nachweislich nie besessen haben. ;)


    Zum Schmuck: alles was nicht zu fein gearbeitet ist, ist o.k. Die hier http://s32.dawandastatic.com/Product2/35209/35209661/big/1347631027-488.jpg?20130301140339 kannst Du z.B. wunderbar zu einer Gürtelkette verarbeiten. Einfach einen Stein Deiner Wahlfarbe in die Mitte kleben und mit Kettenstücken zusammensetzen. Sie hat auch andere wunderschöne Teile, die du verwenden kannst.

    3 Mal editiert, zuletzt von Doro-macht-mit () aus folgendem Grund: Shoplink entfernt und Bildlink eingefügt; bitte Forenregel beachten. Hier keine Shops

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  • Hallo Anja,


    ich schließe mich Doro an. Schwarz ist defnitiv OK. Gregor von Tours schrieb schon im 6. Jh. in seinen "10 Büchern Geschichte":


    Zitat


    Die Gemahlin des Bischofs aber baute in der Vorstadt die Kirche des heiligen Stephanus. Und da sie diese mit bunten Farben ausmalen lassen wollte, nahm sie selbst ein Buch auf ihren Schoß, las eine ältere Darstellung seines Lebens und gab den Malern an, was sie auf den Wänden darstellen sollten. Als sie aber eines Tages so in der Kirche saß und las, kam ein armer Mann zum Gebet und sah sie; und da sie ein schwarzes Kleid an hatte, denn sie war schon hochbetagt, glaubte er, es sei eine von den Armen, zog ein Laib Brot hervor, legte es in ihren Schoß und ging davon. Sie aber verschmähte diese Gabe des Armen nicht, der ja nicht wußte, wer sie war, nahm sie an, dankte und bewahrte sie; und sie zog das Brot allen ihren köstlichen Speisen vor, und genoß beim Tischsegen davon an jeglichem Tage, bis es aufgezehrt war.


    Offensichtlich hatte schwarz im Frühmittelalter eine andere Bedeutung als in der Neuzeit. Billig wäre eine Eisen-Gallus-Färbung. Die wird allerdings leicht fleckig, geht leicht ins bräunliche und ist nicht so richtig lichtecht.
    Dunkles Blau lässt sich mit Waid nur schwer färben. Der Farbstoff im Waid ist Indigo, der ist aber nur in geringen Mengen enthalten. Man braucht also viel Waid für dunkles Blau. Meist wird das eher ein Hellblau. Dunkles Blau habe ich bisher nur mit synthetischem Indigo erhalten.
    Gut gehen noch kräftiges gelb, goldbraun, dunkelbraun, grün (Birkenblätter auf Alaun mit Eisensulfat nachgebeizt), schmutziggrün, helles gelb (ausser im Hochmittelalter in bestimmten Städten, hat ein gewisses Gewerbe angegeben), rot, rostrot, violett bis rauchviolett und jegliche Art von grau.


    Baumwolle würde ich auch nicht soooo sehr ablehnen. Meines Wissens wurde ab dem 11. Jh. in Ulm Baumwoll-Leinen-Mischgewebe in Manufaktur hergestellt. Sowas trägt sich auch gut, pilled aber mit der Zeit. Reine Baumwolle war allerdings durchweg teuer. Pflanzenfasern konnten gefärbt werden, das ist allerdings etwas schwierig (ausser blau) und wurde wohl eher selten gemacht.
    Wolle lässt sich sowohl besser verspinnen, als auch färben und ist daher der prädestinierte Oberstoff.


    Muster... Ja. Auf den Mosaiken in San Vitale in Ravenna sind gemusterte Stoffe angegeben. Ob gedruck oder gewirkt lässt sich nicht sagen (ich stimme für gewirkt). Allerdings handelt es sich dabei um byzantinische Höflinge. Auch in der Buchmalerei findet sich hier und da die Angabe von Mustern. Uni-Stoffe sind aber deutlich häufiger, die sind regelmäßig mit Borten verziert.
    Diese konnten als Applikationen angebracht werden (Brettchenborte) oder waren schon beim Weben in den Stoff gewirkt, wie man es bei den koptischen Tuniken vom 1. bis ins 7. Jh. sieht, die im Museum Burg Linn untergekommen sind. Auch Stickereien sind möglich, zB. als sogenannter Juwelenkragen etwa Handbreit um den Ausschnitt.


    Sehr schön kann man sich mit Webmustern austoben. Wolle wurde selten Leinwandbindig verarbeitet, häufiger waren Köperbindungen. Ganz interessant ist, dass im Frühmittelalter der Diamant- oder Rosettenköper sehr beliebt war, aber im Übergang zum Hochmittelalter verschwindet. Mit einen schönen Fischgrad oder Schrägköper kann man aber nichts falsch machen. Unterschiedlich gefärbte Garne für das Gewebe waren durchaus üblich. Leinen gab es auch in Köperbindung, wurde aber häufiger leinwandbindig verwendet.


    Klar kannst du Schmuck tragen. Welchen und in welcher Ausführung hängt aber wirklich von der Zeit und dem sozialen Status ab, in der sich deine Darstellung bewegt. Die Verarbeitungsqualität ist allerdings so eine Sache... Manchmal siehst du Sachen, da bleibt dir der Mund offen stehen, so fein sind die Verzierungen und so akkurat ist es gearbeitet. Und ein anders Mal hast du das Gefühl von Lehrlings erster Arbeit und wunderst dich, dass das tatsächlich jemand getragen hat, so schief und krumm ist es.
    Wichtig ist, dass es in erster Linie dir gefällt und dass es in den Zeitgeschmack passt. Perlen gehen meines Wissens aber immer, im HoMi evtl. ein hübsches Kreuz?


    Höllenfenster gehören in die Mitte des 14. Jh. und sind daher völlig A. Darunter passen eher enge Kleider. Aus einem Wollköper kann man das auch als Schlupfkleid machen. Der ist etwas dehnbar und dann kann man sich die Schnürung sparen. Wichtig ist dabei die Verwendung von stabilen Nähten. Eine hübsche Miniatur, auf er so etwas zu sehen ist, findet sich im "Roman du Roy Meliadus de Leonnoys" (Bildersuche).
    Ansonsten kannst du dich von verschiedenen Psaltern und der Manesse Liederhandschrift inspirieren lassen.


    Ein no-go sind 1000 Jahre an einer Person, Turnschuhe, Pannesamt, Hörnerhelme, breite bunte Stoffstreifen in der Mittelfront mit Kreuzschnürung oben drüber...

  • es gibt schwarze Schafe bzw fast schwarz. Manche Orden trugen das dunkle Tuch.


    Blau muss verküpt werden, dann wird es auch farbkräftig. Allerdings auf Wolle im Mittelalter (oder Seide); Leinen wurde kaum gefärbt. Es wurde wohl auch kaum als Oberbekleidung getragen. Ich kenne jetzt spontan keine Funde.


    Allerdings sind solche blumigen Texte auch mir Vorsicht zu genießen. Und Bilder werden geschönt. Oder es werden Begebenheiten von 200 Jahre davor dargestellt.


    Klare schöne Farben gibt es auf ganz weißem Stoff. Und man kann sich ausmalen, ob und mit was vorher gebleicht wurde Auch heute bekommt man nicht so einfach weißen Wollstoff (nie strahlendweiß). Leinen bleichen dauert.

    "lass die Sonne rein ... "

    ... und Grüße

    Doro :laola:

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  • Oh, ihr seid ja toll .


    Doro: "Kostüm" hatte ich extra in Tüddelchen gesetzt, einfach nur um zu signalisieren, dass es nicht A sein muss.


    Schwarz als Farbe eröffnet ja gleich neue Möglichkeiten, schon mal nicht schlecht :) Toll, was ihr alles über Farben und Stoffe wisst, da hätte ich ja ewig googeln müsse. Und nein, Pannesamt wollte ich ohnehin nicht verwenden.
    Beruhigend finde ich eure Info, dass das Burdakleid schon fast A ist. Dann werd ich wohl den Schnitt nehmen, er hebt sich von den üblichen Verdächtigen etwas ab, find ich gut.


    Ich werd dann mal den Schnitt downloaden und mir dann über Stoffe und Farben genauere Gedanken machen. Ich könnte mir natürlich passende Stoffe bestellen, vielleicht lässt sich aber auch in meinem nicht unerheblichen Stofflager noch etwas finden, was zumindest aus Entfernung halbwegs glaubwürdig aussieht. Ich hab noch irgendwo einen gemusterten Wollstoff. Wenn ich ihn finde, frag ich euch nochmal, ob das auch gehen könnte. Ist schon ganz anders gemustert als die verlinkten Bildchen.


    Jedenfalls seid ihr super, vielen Dank schonmal.

    Liebe Grüße


    Anja

  • es gibt schwarze Schafe bzw fast schwarz. Manche Orden trugen das dunkle Tuch.


    Allerdings sind solche blumigen Texte auch mir Vorsicht zu genießen. Und Bilder werden geschönt. Oder es werden Begebenheiten von 200 Jahre davor dargestellt.


    Das ist tatsächlich das Problem. Bildbearbeitung ist leider keine Erfindung der Neuzeit. ;)Und leider gibt es eben aus dieser Zeit viel weniger Funde als aus späteren Epochen. Aber wie gesagt. Erst mal festlegen, wen Du darstellen willst und dann kannst Du entscheiden, was du nimmst. Wolle ist natürlich auch ne Superlösung. Eine gute Wolle fällt auch schön und ist auch durchaus waschbar, was ich persönlich immer sehr wichtig finde, wenn man die Sachen öfter anziehen will. Allerdings wird das dann nicht so ganz preiswert.

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  • Es geht doch nix über eine gutsortierte Bibliothek. :D Hab gestern abend nochmal ein bisschen geblättert und hier das Ergebnis:


    Bettina Niekamp schreibt in dem 2008 erschienenen Buch "Das Prunkkleid des Kurfürsten Moritz von Sachsen":
    ".... für die verborgenen Hauptkettfäden und die Schussfäden wurden häufig weniger qualitätvolle Färbemittel verwendet.... Seide wurde schon früh mit Eisengallenschwarz gefärbt... Eisengallenschwarz hat eine blauschwarze Färbung....Häufig gebrauchte Eisenverbindungen waren Eisenvitriol, in versauertem Wein gelöste Eisenteilchen und Schleifschlamm.... Um dagegen die kostbare, echte Schwarzfärbung zu erhalten, wurden seit der Antike zwei oder drei Primärfarben verwendet. Dies gilt auch für die beim Samt (des Prunkkleides Anm. von mir) sichtbaren Florkettfäden, die mit Indigo oder Waid kombiniert mit Brasilholzextrakten... unter Verwendung von Eisen bzw. Aluminium als Beizmittel gefärbt wurden....." Weiterhin schreibt sie, dass Brasilholz weniger lichtecht ist und Krapp hochwertiger war.


    Bei den roten Farbtönen wurden in anderen Untersuchungen Krapp, Kermes, Chocenille und wieder Brasilholz nachgewiesen.


    Das Schwarz der Orden ist wohl also eher das weniger wertvolle und nicht so farbkräftige Schwarz aus Galläpfeln. Liebe Grüße Gwenny

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  • Ich auch nicht, mir fiel nur ein, wo ich gucken kann. :D


    Es gibt übrigens noch ein entscheidendes Argument, dass zumindestens im 13. Jh. wohl aber bis ins 14./15. gegen Schwarz bei einer Hofdame spricht. Schwarz war die Farbe der Katharer, gegen die die katholische Kirche ja im 13. Jh den einzigen Kreuzzug in Europa (genauer Südfrankreich) geführt hat. Sie lehnten u.a. Prunk und Putz ab und kleideten sich ausschließlich schwarz. Nachdem fast alle von ihnen auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden waren und 1244 die letzte Festung - Montsegur - gefallen war, war wohl Schwarz eher anrüchig und ketzerverdächtig. Die Hugenotten haben diese Farbwahl ja dann aus ähnlichen Gründen wie die Katharer 300 Jahre später aufgegriffen. Also wenn Du schwarz nimmst, dann nur mit ordentlich Deko. ;)

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