Letztendlich ist es doch das, was es immer ist:
"Just try to walk a few miles in my shoes" und es gelingt uns nicht nur nicht, wir machen uns oft noch nicht mal die Mühe, uns die Schuhe anzusehen und darüber nachzudenken wie es sich in den Schuhen wohl läuft.
Wir machen es uns lieber einfach. Dicke sind dick, weil sie zu viele essen und sich nicht bewegen und Dünne sind dünn, weil sie verkehrten Schönheitsidealen hinterher laufen. Und selbstverständlich muss man nur ein bisschen Selbstdisziplin aufbringen und sich gesund ernähren und schon läuft alles wie von selbst. Schon bei der gesunden Ernährung tappen wir in die erste Falle. Was das nun konkret bedeutet ... also ich hoffe, dass ich jetzt nicht alle Arten, der garantiert einzig richtigen Ernährungsweise aufzählen muss ... sonst sitze ich noch in zwei Wochen an diesem Text.
Nein, ich will jetzt gar keine obskuren Krankheiten und Drüsenfehlfunktionen aus dem Hut zaubern, die einzig und allein bei jedem "Verkehrtgewichtigen" dafür verantwortlich sind, dass er von der gewichtigen Norm abweicht. Es ist durchaus schon so, dass der überwiegende Teil zu viel/zu wenig/ zu unausgewogen ist oder gegessen hat, sich zu wenig bewegt hat oder auch zu viel oder falsch und am Ende dann eben in die eine oder andere Richtung von der "Norm" abweicht.
Also los, zeigen wir mit unserem ausgestreckten Zeigefinger auf unseren "Verkehrtgewichtigen" und sagen: "DU bist schuld. Hab doch einfach mehr Selbstdisziplin. Guck doch mal mich an. ICH kann das doch auch!" Und schon sind wir bei den Schuhen des Anderen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nur ganz wenige "Verkehrtgewichtige" gibt, denen es so komplett herzlich egal ist, ob und wie sie in die Norm passen, Hauptsache es schmeckt oder Hauptsache man gewinnt eine "thigh gap challenge" oder was auch immer in dieser Richtung. Die meisten Menschen wissen durchaus, dass da irgendwas nicht so ganz richtig läuft. Essstörungen wird man aber leider nicht so mir nichts dir nichts los. Die entwickeln sich langsam und aus den unterschiedlichsten Gründen. Vermutlich hat jeder "Verkehrtgewichtige" da seine ganz persönliche und oft genug tragische Geschichte zu erzählen. Aber pardon, ich vergaß: "DU bist schuld. Hab doch einfach mehr Selbstdisziplin. Guck doch mal mich an. ICH kann das doch auch!" (besonders genieße ich diesen Spruch ja von Kettenrauchern und anderen wovon auch immer Abhängigen). Nein, das geht eben nicht alles so einfach. Zumindest nicht immer. Es ist immer auch eine Frage der Rahmenbedingungen. Wer auch ansonsten gerade ein Schei*leben hat, der bringt möglicherweise nicht auch noch die Kraft auf sein Essverhalten zu optimieren. Da könnte man auch selbst drauf kommen und aufhören mit dem Finger auf die Leute zu zeigen. Eigentlich hat der Verkehrtgewichtige nämlich schon genug andere Sorgen.
Vielleicht eins noch: es gibt kein "normal" und noch viel weniger gibt es ein "selbstverständlich".